Warum heißt die Nordsee See und nicht Meer?

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Die Nordsee wird als See bezeichnet, obwohl sie ein Randmeer des Atlantiks ist, weil die Bezeichnung historisch gewachsen ist. Früher wurde zwischen Meer für Ozeane und See für kleinere, küstennahe Gewässer unterschieden. Die Nordsee ist relativ klein und liegt nahe an den Küsten Europas, weshalb sich die Bezeichnung See etablierte. Außerdem war die Nordsee für die Menschen in Nordeuropa immer ein vertrautes, nahes Gewässer, im Gegensatz zu den fernen Ozeanen.
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Die Nordsee: Ein See im Meer? Ein Blick in die Geschichte der Benennung

Die Frage, warum die Nordsee, ein ausgedehntes Randmeer des Atlantischen Ozeans, als „See und nicht als „Meer bezeichnet wird, ist keine rein linguistische Spitzfindigkeit, sondern spiegelt ein komplexes Zusammenspiel aus historischer Entwicklung, geographischer Wahrnehmung und kultureller Bedeutung wider. Die einfache Antwort – die Bezeichnung hat sich historisch etabliert – versteckt eine vielschichtigere Erklärung.

Im Laufe der Geschichte unterlagen die Bezeichnungen „Meer und „See einer Entwicklung, die nicht immer konsistent mit unserer heutigen geographischen Klassifizierung war. Im alten Europa, lange bevor die wissenschaftliche Ozeanographie die Gewässer der Erde systematisch kategorisierte, wurde der Begriff „Meer vorrangig für die großen, weiten und oft unergründlichen Wasserflächen der Ozeane verwendet. Das Mittelmeer, der Name selbst zeugt davon, war das „Meer in der Mitte der bekannten Welt. Im Gegensatz dazu wurden kleinere, küstennahe Gewässer, die ein höheres Maß an Vertrautheit und Erforschtheit aufwiesen, als „Seen bezeichnet. Diese Unterscheidung war nicht rein quantitativ, also nicht allein von der Größe abhängig, sondern auch qualitativ, geprägt von der menschlichen Perspektive.

Die Nordsee, relativ klein im Vergleich zum Atlantik, lag in unmittelbarer Nähe zu den Küsten der Anrainerstaaten. Für die Küstenbewohner Skandinaviens, Deutschlands, der Niederlande und Großbritanniens war sie kein unheimliches, unvorstellbares Weite, sondern ein vertrauter Lebensraum, ein wichtiger Verkehrsweg und eine Quelle des Lebensunterhalts. Diese Nähe und die damit verbundene Vertrautheit spiegelten sich in der Bezeichnung „See wider. Es war ihr See, ein Gewässer, dessen Gezeiten, Strömungen und Gefahren sie kannten und zu bewältigen lernten. Die großen, offenen Ozeane hingegen waren fern, geheimnisvoll und oft mit Gefahr und Unbekanntem verbunden.

Die Etablierung des Namens „Nordsee festigte sich im Laufe der Jahrhunderte. In der mittelalterlichen Kartographie findet man diese Bezeichnung bereits, und sie setzte sich im Laufe der Zeit in der Alltagssprache der betroffenen Regionen durch. Die wissenschaftliche Geographie, die später eine präzisere Klassifizierung von Meeresgebieten einführte, veränderte diese etablierte Benennung nicht mehr. Die Nordsee blieb ein „See, obwohl sie nach modernen Definitionen ein Randmeer des Atlantiks ist.

Die persistente Verwendung des Begriffs „See für die Nordsee ist also kein Fehler, sondern ein Zeugnis für die historische Entwicklung der geographischen Begriffsbildung und die enge Verknüpfung der menschlichen Wahrnehmung mit der Benennung der geographischen Objekte. Es zeigt, wie kulturelle und historische Faktoren die wissenschaftliche Terminologie prägen und wie die Namen von Gewässern mehr als nur eine geographische Beschreibung darstellen – sie spiegeln das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt wider. Die Nordsee bleibt somit ein See, ein historisch gewachsener Name, der mehr erzählt als nur die Ausdehnung des Gewässers. Er erzählt von der Geschichte der Menschen, die an seinen Küsten lebten und von ihm lebten.