Warum fließt Wasser gegen den Uhrzeigersinn in den Abfluss?
Der Mythos vom linksdrehenden Wasser: Warum die Erdrotation keinen Einfluss auf den Abfluss hat
Die Behauptung, Wasser in Abflüssen drehe sich auf der Nordhalbkugel stets gegen den Uhrzeigersinn, während es auf der Südhalbkugel im Uhrzeigersinn verläuft, gehört zu den hartnäckigsten Mythen der Physik. Man erklärt diesen vermeintlichen Effekt oft mit der Corioliskraft, einer Scheinkraft, die durch die Erdrotation entsteht und beispielsweise für die Entstehung von großräumigen Wirbeln in der Atmosphäre verantwortlich ist. Tatsächlich ist der Coriolis-Effekt aber viel zu schwach, um einen messbaren Einfluss auf den Abfluss in einer Badewanne oder einem Waschbecken zu haben. Die Behauptung ist schlichtweg falsch.
Die Drehrichtung des Wassers im Abfluss wird von einer Vielzahl anderer Faktoren bestimmt, die den Coriolis-Effekt bei weitem übertreffen. Der wichtigste Faktor ist die Form des Beckens selbst. Asymmetrien in der Beckenform, beispielsweise eine leicht ovale Form oder Unebenheiten im Boden, lenken den Wasserstrom und beeinflussen die Drehrichtung. Ein leicht geneigter Boden oder ein nicht perfekt zentrischer Abfluss können ebenfalls entscheidend sein. Die Richtung, aus der das Wasser in das Becken einströmt, spielt ebenfalls eine bedeutende Rolle. Füllt man das Becken von einer Seite, wird das Wasser bereits eine initiale Drehbewegung erhalten, die den Abfluss maßgeblich beeinflusst.
Eine weitere, oft übersehene Einflussgröße sind Restrotationen des Wassers. Selbst kleinste Bewegungen des Wassers vor dem Ablaufen, beispielsweise durch vorheriges Umrühren oder durch Strömungen im Becken, reichen aus, um die Drehrichtung zu prägen. Diese Restschwingungen können die Drehrichtung des Abflusses bestimmen und den Effekt des Coriolis-Effekts völlig überlagern. Man kann dies leicht selbst testen: Füllen Sie ein Becken mit Wasser, lassen Sie es einige Zeit ruhig stehen und beobachten Sie den Abfluss. Wiederholen Sie den Vorgang, jedoch mit vorherigem Umrühren des Wassers in eine bestimmte Richtung. Die Drehrichtung des Abflusses wird sich deutlich unterscheiden, obwohl der Coriolis-Effekt unverändert bleibt.
Um den Einfluss des Coriolis-Effekts tatsächlich zu beobachten, bräuchte man ein extrem großes Becken mit absolut glatten Wänden und einem perfekten, zentrischen Abfluss, gefüllt mit absolut ruhigem Wasser, das über einen sehr langen Zeitraum langsam abläuft. Unter solchen, in der Praxis unrealistischen, Bedingungen wäre der Coriolis-Effekt eventuell messbar. In einem normalen Haushalt hingegen ist er verschwindend gering im Vergleich zu den oben genannten Faktoren.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Drehrichtung des Wassers im Abfluss wird durch lokale Faktoren wie die Beckenform, die Einströmrichtung des Wassers und vorhandene Restschwingungen bestimmt, nicht durch die Erdrotation. Der Coriolis-Effekt spielt in diesem Kontext praktisch keine Rolle. Der Mythos vom linksdrehenden Wasser auf der Nordhalbkugel ist daher nichts weiter als ein weit verbreitetes Missverständnis der Physik. Die scheinbare Regelmäßigkeit in der Drehrichtung ist rein zufällig und auf die meist ähnlichen Gegebenheiten in den meisten Haushalten zurückzuführen.
#Abfluss Wirbel#Corioliskraft#WasserflussKommentar zur Antwort:
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